Analyse, Interpretation und Inhaltsangabe von Franz Kafkas „Der Geier“

Franz Kafka (Foto: Klaus Wagenbach)

Der Geier ist ein kurzes, parabelartiges Prosastück von Franz Kafka, welches im Jahr 1920 verfasst und nach dem Tod des Autors von seinem Nachlassverwalter Max Brod veröffentlicht wurde. Neben dieser kurzen Erzählung in der Ich-Perspektive verfasste Kafka weitere kurze Prosastücke im selben Zeitraum, nachdem er sich von seiner Geliebten Milena Jesenská getrennt hatte. Zeitgleich litt Kafka bereits seit 1917 an Tuberkulose und befand sich 1920 in unterschiedlichen Kliniken in Italien, um zu genesen.

„Ein Geier hackt die Füße eines Menschen, ohne dass diesem geholfen wird. Am Ende stirbt der Mann durch den Schnabel des Geiers.“

Inhaltsangabe

In der Erzählung von Franz Kafka „Der Geier“ geht es um eine Person und einen Geier, welcher immer wieder auf die Füße des Menschen einhackt. Nach einiger Zeit kommt ein Herr vorbei und möchte der verzweifelten Person helfen. Das Geschlecht der Person, aus deren Perspektive die Geschichte erzählt wird, lässt sich für die Leser und Leserinnen nicht erkennen.

Diese Parabel lässt sich in drei Abschnitte gliedern. Im ersten wird beschrieben, wie die Hauptfigur vom Geier belästigt wird und wie sie sich dadurch fühlt. Im nächsten Abschnitt taucht ein Herr auf, welcher der Hauptfigur Hilfe anbietet. Im letzten Teil beschreibt Kafka, warum und wie der Ich-Erzähler von dem Geier getötet wird.

 

Analyse

Der Text ist gut verständlich, was sich vor allem auf die hauptsächlich kurz gehaltenen Sätze und die einfache Satzstruktur zurückführen lässt. Die Handlung wird in der Ich-Form erzählt und es kommt in der Mitte des Textes zu einem Dialog zwischen Herr und der erzählenden Person.

Im ersten Abschnitt wird nicht deutlich, warum der Geier auf die Füße des Mannes einhackt (Z. 3: „Immer schlug er zu ..und setzte dann die Arbeit fort.“). Des Weiteren zeigt die Hauptfigur ihre Hilflosigkeit, indem sie sagt, das sie nicht vor dem Geier fliehen kann und zudem auch völlig wehrlos gegen das Tier ist (Z. 6: „Ich bin ja wehrlos …“).

Im nachfolgenden Abschnitt vertieft sich das Gespräch der beiden Personen (Z. 6-19). Der Herr schlägt vor, dem Wehrlosen zu helfen und weiß eine Lösung (Z. 12: „ein Schuss und der Geier ist erledigt.“). Der Mann nimmt das Angebot an und bittet ihn, es zu versuchen (Z. 17: „Bitte, versuchen Sie es für jeden Fall“). Doch muss der Herr erst sein Gewehr holen, verspricht in einer halben Stunde wieder da zu sein und lässt die Hauptfigur wieder allein.

So ist der Protagonist im dritten Abschnitt allein auf sich gestellt und stirbt schließlich. Denn der Geier hatte alles mit angehört und verstanden, was die Beiden sagten (Z. 21: „Jetzt sah ich, dass er alles verstanden hatte …“). So tötet der Geier den Menschen und stirbt dadurch selber (Z. 26: „… überfließenden Blut unrettbar ertrank.“).

Foto: Kathy Büscher, Wikimedia

Interpretation

Kafka verfasste diesen kurzen Prosatext im Jahr 1920, was mich vermuten lässt, dass Kafka damit sein Leiden an Tuberkulose, woran er bereits seit 1917 litt, beschreiben wollte. So könnte der Geier die Krankheit darstellen mit der er leben muss, der er wehrlos ausgeliefert ist. Geier steht für mich nämlich symbolisch für Aas, also totes Fleisch und auch einige Kulturen, wie die Maya, sahen den Geier als als Bringer von Tod und Unglück.

Die Hauptfigur lässt sich dann als Franz Kafka selbst interpretieren, welcher die Krankheit akzeptiert hat, weil er ihr nicht alleine zu entfliehen vermag. Der hilfsbereite Herr steht in diesem Zusammenhang dann für einen hilfsbereiten Arzt, welcher eine Lösung vorschlägt, doch diese kommt zu spät (Z. 15: „… noch eine halbe Stunde warten?“).

Es ist vorstellbar, dass Kafka die Parabel schrieb, seine Angst vor dem Tod zu verarbeiten, denn wer stirbt, ist dann zumindest von den Schmerzen der Krankheit befreit (Z. 24: „… fühlte ich befreit …“).

Eine andere Interpretation wäre sicherlich auch möglich, doch ist diese aufgrund der bekannten Erkrankung Kafkas und der Klinik-Aufenthalte in dem Verfassungsjahr, für mich die schlüssigste. 

Der Primärtext

Franz Kafka: Der Geier (1920)

Es war ein Geier, der hackte in meine Füße. Stiefel und Strümpfe hatte er schon aufgerissen, nun hackte er schon in die Füße selbst. Immer schlug er zu, flog dann unruhig mehrmals um mich und setzte dann die Arbeit fort. Es kam ein Herr vorüber, sah ein Weilchen zu und fragte dann, warum ich den Geier dulde. »Ich bin ja wehrlos«, sagte ich, »er kam und fing zu hacken an, da wollte ich ihn natürlich wegtreiben, versuchte ihn sogar zu würgen, aber ein solches Tier hat große Kräfte, auch wollte er mir schon ins Gesicht springen, da opferte ich lieber die Füße. Nun sind sie schon fast zerrissen.« »Daß Sie sich so quälen lassen«, sagte der Herr, »ein Schuß und der Geier ist erledigt.« »Ist das so?« fragte ich, »und wollen Sie das besorgen?« »Gern«, sagte der Herr, »ich muß nur nach Hause gehn und mein Gewehr holen. Können Sie noch eine halbe Stunde warten?« »Das weiß ich nicht«, sagte ich und stand eine Weile starr vor Schmerz, dann sagte ich: »Bitte, versuchen Sie es für jeden Fall.« »Gut«, sagte der Herr, »ich werde mich beeilen.« Der Geier hatte während des Gespräches ruhig zugehört und die Blicke zwischen mir und dem Herrn wandern lassen. Jetzt sah ich, daß er alles verstanden hatte, er flog auf, weit beugte er sich zurück, um genug Schwung zu bekommen und stieß dann wie ein Speerwerfer den Schnabel durch meinen Mund tief in mich. Zurückfallend fühlte ich befreit, wie er in meinem alle Tiefen füllenden, alle Ufer überfließenden Blut unrettbar ertrank.

Weiterführende Informationen zu Kafkas „Der Geier“

Interpretation von „Der Geier“ von Franz Kafka
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Genie
Genie
9 Jahre zuvor

Die Deutung finde ich schlüssig, insgesamt ist das Ganze ziemlich kurz.
Wiederholungen sollten vermieden werden: „Nach einiger Zeit kommt ein Herr vorbei und möchte ihm nach einiger Zeit helfen.“ Die Sätze sind immer recht einfach gehalten und könnten evtl. besser vrknüpft werden können.
Satzanfänge sollten variieren und es sollte nicht zweimal hintereinander der gleiche vorkommen: „So könnte der Geier…“ „So könnte der Mann…“.

Joachim
2 Jahre zuvor
Reply to  Genie

Hallo Genie,

danke für Deinen konstruktiven Kommentar. Wir haben Deine Hinweise berücksichtigt und den Artikel aktualisiert.

Viele Grüße
Dein Hausaufgabenscout.de-Team

Benjamin
Benjamin
8 Jahre zuvor

Vielleicht wäre es besser anstatt Hauptdarsteller Protagonist zu schreiben. Ansonsten ist es nicht schlecht.

Joachim
2 Jahre zuvor
Reply to  Benjamin

Hallo Benjamin,

danke für Deinen konstruktiven Kommentar. Wir haben Deinen Hinweis berücksichtigt und den Artikel aktualisiert.

Viele Grüße
Dein Hausaufgabenscout.de-Team

Felix
Felix
7 Jahre zuvor

Vong Inhalt her viel Text